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Bürstenbinder

Um 1865 ist das Bürstenbinderhandwerk bereits ziemlich angewachsen und damit auch der Hausierhandel, während der Anteil der sonstigen Handwerke laufend zurückgeht. Die Bürstenbinder verbessern im Wettbewerb untereinander ihre Herstellungsmethoden. Um die Arbeit zu erleichtern, werden im Dorfeine Bohrmaschine und ein Drehstuhl aufgestellt, die für eine geringe Gebühr benutzt werden können.

Hausierhandel

Die meisten der Hausierer besitzen einen kleinen vierradrigen Karren, den sie mit einem Notbett, dem nötigsten Geschirr und mit der Verkaufsware beladen und dann zu zweit miteinander ziehen. Sie sind in der Regel den ganzen Sommer über auf der Reise und kommen auf den Winter zurück, um wieder neue Ware herzustellen. Im Winter verkaufen sie nur auf kürzeren Tagestouren. Die großen Reisen gehen ins ganze damalige "Inland" Württemberg, ins badische Nachbarland und nach Hohenzollern. Wenn die Eltern auf der Reise sind, müssen die Kinder bei Nachbarn oder Verwandten in Kost gegeben werden. Nur wenn sie Schulferien haben, dürfen sie mit auf die Reise. So ist der weitaus größere Teil der Lützenhardter regelmäßig wochen- oder monatelang auf der Reise. Einige von ihnen schaffen sich für die weiten Reisen auf den Straßen sogar einen Planwagen an.

Fürsorgelasten

Manch einer der Lützenhardter bleibt auch unterwegs irgendwo hängen, sei es, dass er dort eine andere leichtere oder vielleicht einträglichere Arbeit, oder insgesamt bessere Lebensverhältnisse vorfindet. Die in der Fremde Verbliebenen bleiben aber nach damaligem Recht nach wie vor Bürger von Lützenhardt, und die Gemeinde ist verpflichtet, ihnen zu helfen, wenn sie irgendwo in Not geraten, krank werden oder im Alter nicht mehr arbeiten können und hilflos werden. Dazu gehört auch, dass die Gemeinde Lützenhardt zahlen muss für Verpflegung und dergleichen, wenn, was auch hin und wieder vorkommt, ein Lützenhardter irgendwo im Arrest oder Gefängnis sitzt wegen Bettelei oder Schlägerei. Und manch einer kommt nur deshalb nach Jahren wieder zurück in die alte Heimat nach Lützenhardt, weil er es draußen vor Heimweh nicht mehr aushält.

So geht es wahrscheinlich auch der Witwe des verstorbenen J.G. im Jahre 1878. G. hatte zuletzt in Bierlingen gewohnt, er war Bürger von Lützenhardt gewesen. Die Frau erscheint eines Tages und stellt ihren Planwagen auf einem gemeindeeigenen Platz in Lützenhardt ab. Man fordert sie auf, ihren Wagen anderswo hinzustellen, weil es immer wieder vorkommt, dass, wenn einmal irgendwo im Ort ein Wagen steht, bald weitere Wagen hinzukommen. Doch sie weiß nicht, wohin sie ihn stellen soll, keiner gibt ihr einen Platz, und eine Wohnung bekommt sie wegen der ständigen Wohnungsnot in Lützenhardt auch nicht. Auf die Frage, warum sie denn nicht in Bierlingen geblieben sei, antwortet sie, der Schultheiß von Bierlingen habe sie von dort ausgewiesen - allerdings nur mündlich, schriftlich habe sie nichts. Daraufhin beschließt der Gemeinderat, solche immer wieder vorkommenden nicht rechtsgültigen Ausweisungen künftig nicht mehr hinzunehmen, denn "gerade die geringen Leute haben von ihren Rechten, die ihnen das Freizügigkeitsgesetz garantiert, meist noch einen sehr verworrenen Begriff." Als sich darin herausstellt, dass sie tatsächlich nicht rechtskräftig ausgewiesen worden war, macht sich die Frau wieder auf nach Bierlingen. Drei Jahre danach ist sie wieder da, und diesmal muss die Gemeinde endgültig jemanden finden, bei der sie wohnen kann.

Schultheiß Rupp 1875 - 1890

Inzwischen haben sich die allgemeinen Verhältnisse in Lützenhardt, vor allein auch die bis dahin schlechte finanzielle Lage der Gemeinde anscheinend etwas gebessert, so dass 1874 die seinerzeit 1855 über Lützenhardt verhängte Staatsaufsicht wieder aufgehoben wird. Nachfolger von Schultheiß Weber, der von 1873 bis 1875 im Amt gewesen war, wird Schultheiß Rupp. Er muss ein ziemlich energischer, temperamentvoller und eigenwilliger Mann gewesen sein, der es mit seinen Lützenhardter Mitbürgern bestimmt nicht leicht hatte, und vermutlich hatten sie es mit Ihm auch nicht immer leicht.

1876 brennt es, in Lützenhardt. Unerwartet jedoch kommen Helfer ans Tumlingen und Hörschweiler trotz aller Vorbehalte gegenüber den so andersartigen Nachbarn, um beim Löschen zu helfen. Das bewegt den Lützenhardter Gemeinderat, im "Grenzer", der Freudenstädter Heimatzeitung, den beiden Nachbargemeinden den "innigsten Dank" für die schnelle Hilfe bei der Bekämpfung des Brandes auszudrücken. Dies ist sicher als ein Beweis dafür zu werten, dass das zuweilen gespannte Verhältnis zwischen Lützenhardt und den Nachbargemeinden doch allmählich abgebaut wird, und das nicht zuletzt durch den guten Willen der Lützenhardter und ihres Schultheißen.

Eisenbahn 1879

Eine große Erleichterung für die Hausierer bringt die Eröffnung der Eisenbahn zwischen Eutingen bei Horb und Freudenstadt im Jahre 1879. Seit die erste Eisenbahn 1845 in Württemberg fuhr, war das Netz der Eisenbahner inzwischen so weit ausgebaut worden, dass man jetzt von Horb aus weit ins Land mit der Bahn gelangen kann. Die Lützenhardter brauchen nun keine so weiten Wegstrecken mehr zu Fuß mit dein Karren zurücklegen wie bisher.

Schultheiß Rupp und der Gemeinderat müssen sich indes nach wie vor mit zahlreichen unerfreulichen Angelegenheiten befassen wie allerlei Raufereien, Beleidigungen, Versäumnissen der Sonntagsschule, schlechtem Benehmen von Mitbürgern vor der Obrigkeit und dergleichen mehr. Der Gemeinderat ist befugt, Verstoße gegen die öffentliche Ordnung mit Strafen zu belegen. Da Geldstrafen in der Regel unwirksam sind, weil die Übeltäter kein Geld haben, werden Arreststrafen verhängt, je nach Schwere des Vergebens mit 6, 12 oder 24 Stunden Arrest. für Versäumnisse der Sonntagsschule für die Heranwachsenden gibt es 24 Stunden Arrest! 48 Stunden Arrest ist die höchste Strafe, die der Gemeinderat verhängen kann. Im Jahre 1880 werden erstmals in der Gemeinde Klagen gegen Schultheiß Rupp laut. Man wirft ihm vor allem vor, dass er zu viel trinke. Vielleicht wachsen ihm die Last der Verantwortung für seine Gemeinde und die Schwierigkeiten, mit denen er fertig werden muss, über den Kopf, so dass er das Trinken angefangen hat. Besonders schwer hat er es mit den Halbwüchsigen, die meist am Wochenende im Wirtshaus und nachher auf der Straße Streit miteinander bekommen, was dann immer wieder zu schweren Körperverletzungen, zu langem Siechtum oder gar zum Tode eines der Streitenden führt. In dieser Zeit kommt Lützenhardt geradezu in Verruf, weil es bekannt ist, dass die Jungen allezeit Messer oder Revolver in den 'Taschen haben und damit im Jähzorn das größte Unheil anrichten. So etwas gibt es in anderen Gemeinden selbstverständlich auch hin und wieder, aber Lützenhardt ist nun einmal ein Sonderfall.


Schultheiß Schweizer 1890 - 1918

Bei Bekämpfung solcher Vorkommnisse erschwert wohl die schwindende Autorität des Schultheißen die Arbeit des Gerneinderats, so dass in der Gemeinde Stimmen dagegen laut werden, dass Schultheiß Rupp noch länger im Amt verbleit. Als darin 1890 auch das Königliche Oberamt in Horb auf Ablösung Rupps drängt, verzichtet er schließlich selbst auf sein Amt. Der Gemeinderat hätte zwar gerne einen Bewerber für das Amt des Schultheißen gesehen, der nicht aus Lützenhardt stammt, und auf die Ausschreibung stellt sich auch ein geeigneter auswärtiger Bewerber zur Wahl, doch die Lützenhardter wählen mit großer Mehrheit einen Gegenkandidaten aus der Gemeinde: Wilhelm Schweizer.


Ansicht 1900Ansicht um 1900
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1900 - seitdem das Lehensgut Lützenhardt zur Ansiedlung freigegeben und damit als Dorf gegründet worden war, sind nunmehr 150 Jahre vergangen. Längst sind in den Städten des Landes und auch schon in vielen günstig gelegenen kleineren Gemeinden Industriebetriebe entstanden, die einer großen Zahl von Kleinbauern zwar bescheidene, aber doch ausreichende Erwerbsgrundlagen anbieten. Für die Bewohner des abgelegenen, verkehrsfernen Waldachtals gibt es solche nahegelegenen Arbeitsplätze jedoch nicht. Die Kleinbauern in den Nachbardörfern von Lützenhardt verbleiben also nach wie vor bei ihrer Landwirtschaft und können auch davon leben, ohne Not zu leiden. Die Lützenhardter dagegen können von ihren geringen Iandwirtschaftlichen Nutzflachen nicht leben. Sie sind weiterhin auf die Herstellung handwerklicher Erzeugnisse und deren Verkauf angewiesen. Diese schmale Existenzgrundlage reicht aber nicht aus, sie kommen einfach aus ihrer Armut nicht heraus.

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